Alles Lesen ist Intimität

Hier findet ihr einen kurzen Bericht über unsere Lesung, die den Auftakt zu Literatur auf dem Boxberg des Stadtteilvereins Boxberg gemacht hat. Vielen Dank für den schönen Abend, mit tollem Publikum, fantastischen Veranstalter:innen und starken Autor:innen. Nicht nur thematisch, sondern auch literarischen waren wir breit aufgestellt und konnten 5 Autor:innen einladen, die zum Thema Intimität gelesen haben. Unser Dank gilt an der Stelle unserem Regenbogenfisch & Veranstalter Mika Barton, der schon – und das alleine ist herauszustellen – vor Monaten auf uns zukam und uns gefragt hat, ob wir etwas gemeinsam auf die Beine stellen wollen. Unten erzählen wir euch vom den Abend mit seinen Texten und haben auch ein paar Zitate der Autor:innen aus dem Nachgang dabei.


Wir haben uns sehr gefreut einen alten Freund extra aus Bochum anreisen lassen zu können. nikbru hat für uns seine Gitarre, inklusive ganzem Pedalboard, mitgebracht und ein paar Songs gespielt, die uns gut auf den Abend eingestimmt haben. Hört direkt mal rein und folgt ihm auf Instagram und Spotify.

Eingeleitet hat die Lesung Anne Richter mit einem Auszug aus ihrem Roman Fremde Zeichen. Anne war nun schon zum zweiten Mal bei einer unserer Lesungen mit dabei und wir sind jedes Mal begeistert von der Sanftheit und gleichzeitigen Intensität ihrer Texte.

“Schreiben, d.h. die Arbeit an einem Text, bedeutet für mich Intimität, weil die kreative Auseinandersetzung mit einem Stoff zunächst Abgeschiedenheit erfordert. In diesem Rahmen, in dem ich mich ganz und gar einem Thema (dem oft eine als Konflikt wahrgenommene umfassendere Fragestellung zugrunde liegt) und dessen künstlerischer Umsetzung widme, kann ich bei mir selbst sein. 

Später, nach der Veröffentlichung, entsteht eine andere Art von Intimität, sobald sich ein Gesprächsraum öffnet. Besonders schön finde ich es, wenn das Publikum auf der Basis des gehörten oder gelesenen Textes eigene Erfahrungen (mit)teilt und ein Austausch entsteht, bei dem auch über den unmittelbaren literarischen Text hinausgehende Themen einbezogen werden.”

Helmut Blepp hat uns einige seiner Gedichte mitgebracht – die zumindest uns direkt Tränen in die Augen getrieben haben – nahbar, dicht und bildstark. Wir haben Helmut an dem Abend auch zum ersten mal persönlich getroffen und können an der Stelle nur anmerken, dass es immer wieder schön ist, Texte direkt mit der Stimme der Autor:in zu hören. Vorgetragen hat er unter anderem Letzte Stunden, aber auch zwei weitere Texte, die in den kommenden Wochen bei uns erscheinen werden.

“Schreiben und das Geschriebene teilen sind sehr unterschiedliche Vorgänge für mich. Insbesondere Lyrik mache ich doch sehr intuitiv, das heißt, ich plane den Text nicht und verzichte auf eine vorherige Komposition. Wenn ich beginne, ist es oft nur eine Idee oder eine Empfindung, die Raum greift, und es ist ein Abenteuer, zu erleben, zu welchem Resultat das führt. Die Textarbeit beginnt meist später, Tage oder Wochen nach der ersten Fassung, weil ich zeitlichen Abstand brauche, um einen Text einigermaßen sachgerecht beurteilen und gegebenenfalls daran feilen zu können. Wenn ich selbst nicht recht weiß, ob ein Gedicht gelungen ist, stelle ich es manchmal in ein nichtöffentliches Forum ein, in dem ich mich mit einigen Schreibfreund:innen austausche.”

Jonas Spies hat zwei Texte über Trauerverabeitung gelesen – das Gedicht Kirschblüten findet ihr bei uns. Wir hatten lange überlegt, ob wir auch ein paar bedrückende Texte mitbringen, aber es war uns doch wichtig, die Bandbreite von Intimität abzubilden. Nach der Pause ging es weiter mit ein paar Songs von Niklas, die den zweiten Teil des Abends eingeleitet haben.

“Ich bin ja großer Freund von Lesungen – und sei es allein dafür, einen Text vom Papier in die Welt zu bringen und gemeinsam mit den Leuten im Raum zu fühlen. Das ist für mich immer ein positiver Moment des Loslassens – solidarisch irgendwie.”

Die Stimmung konnte dann schnell wieder von Charlotte Döhrmann und ihrem Text Bahngedanken aufgehellt werden. Darin folgen wir den Gedanken einer Protagonistin auf dem Weg zur Arbeit zwischen Begehren, Sexualität und Ekel – selten hat das Wort Ehemann für so viele Lacher gesorgt.

“Für mich hat es schon etwas Exhibitionistisches, wenn man für einen öffentlichen Raum schreibt. Denn egal, wie sehr man konstruiert, versucht zu entfremden, erfindet, herbeiredet und verstellt: alles Schreiben spricht von der eigenen Leidenschaft, Verletzung, Empfindsamkeit, von der Vergangenheit und der erhofften Zukunft – alles Schreiben ist Intimität. Vielleicht schlummert im öffentlichen Lesen und Publizieren nicht ausschließlich der Wunsch nach Anerkennung, sondern auch der Wunsch, diejenigen zu finden, die teilen, was man erlebt und ersehnt.”

Abgeschlossen hat die Lesung Jakob Burgi mit seinem Text Alte Damen, der in den kommenden Tagen bei uns erscheint. Es geht um Familienkonflikte, Verlust, Freundschaften, Bananen und ein wenig Magie.

“Die Intimität des Publikums mit der/dem Autor:in ist eine zweischneidige Angelegenheit -- jede:r die/der einmal einen eigenen Text vor Publikum gelesen hat, kennt das Gefühl des Bloßgestellt seins. Schließlich sitzt man selten ohne Regung auf der Bühne, und das ist nicht unbedingt angenehm. Auf der anderen Seite verbürgt sie grade wegen dieser öffentlichen Rührung die Authentizität des Textes. Vielen Dank an alle Beteiligten für die geteilte Erfahrung!”


Vielen Dank nochmal für diesen angenehm intimen Abend mit den Künstler:innen, dem wundervoll gemischtem Publikum und an Mika Barton und den gesamten Stadteilverein Boxberg. Großen Dank auch an Renate & Judith, die maßgeblich an der Umsetzung dieses Events beteiligt waren und uns und unsere Gäste vor und in den Pausen versorgt haben.

Zum Schluss noch ein Zitat des Veranstalters, Mika:
“Der Titel des Abends war Programm: Die Autor:innen haben das Publikum auf einzigartige Weise, nämlich auf ihre ganz eigene, am Schreiben der Texte und Gedichte und ihren Gedanken dabei und danach teilhaben lassen. Das fand ich nicht nur sehr mutig, sondern beeindruckend. Und ich bin völlig bei Jonas Spies, der im Gespräch zwischen den Autor:innen am Ende sagte: Mir tut es sehr gut, zu lesen und gemeinsam Literatur zu hören.”

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