Schöne Beine sind kein Verbrechen

Frühlingsgefühle heißt es, wenn die Tauben anfangen, auf meiner Fensterbank zu kopulieren, wenn mich der Duft von Sonnenstrahlen auf Forsythienblüten in der Nase kitzelt und alte Erinnerungen weckt, wenn ich wieder den Drang kriege, mir Schnittblumen in alle Ecken meiner Wohnung zu stellen und mich mit Büchern in Cafés zu setzen und zu rauchen.

Frühlingsgefühle heißt es für Männer, wenn die ersten paar warmen Tage das Stadtbild in ein Meer aus Frauenbeinen und Dekolletees verwandeln, wenn sich die Frauen wie Schmetterlinge aus ihren schweren Hüllen befreien, um als hübsche kleine Dinger rumzuflattern. Nach den langen Monaten aus Grau und Schwarz fühlen sie sich, als wären sie durch die Wüste gelaufen, um nun endlich eine Oase zu finden. Jetzt teilen sie wie Moses das Frauenmeer mit ihren Blicken – ihrem Starren. Sie starren, bis ihre unsichtbaren Fühler die Haut der Frauen kitzeln und sich deren Nackenhaare aufstellen. Sie starren ganz selbstbewusst, selbst wenn sie mit ihren Kindern unterwegs sind. Als wäre es ihr gutes Recht.

Es ist Mai und zum ersten Mal richtig warm in diesem Jahr. Zu lange waren die Gefühle in ihren harten Knospen eingezwängt, die Sonne hat sie ruckartig entfaltet. Überall schwirren Pollen durch die Luft, hört man Vögel singen und will man rausgehen. Die Menschen drängen sich durch den Park. Auch wir drei, die zwei Brüder und ich, sind keine Ausnahme. Wir laufen an der kleinen Insel entlang, auf der ich vor ein paar Wochen noch Frischlinge mit ihrer Mutter entdeckt habe. Die Insel ist leer heute, aber der Weg vor uns nicht. Ich spüre die Fühler, noch bevor ich ihn sehe. Er ist so groß wie die Frischlinge aus dieser Entfernung, aber ich merke sofort, worauf sein Blick fällt. Meine Beine laufen weiter, betont normal.

Rechtes Bein, linkes Bein, rechtes Bein und immer so weiter. Bei jedem Schritt schmiegt sich der Saum meines Rocks an meine Oberschenkel. Er starrt auch noch, als er nicht mehr die Größe von Frischlingen hat. Selbst die zwei Brüder bemerken seine Fühler, dabei ist das meist das Privileg, oder vielmehr der Fluch der Frauen.

„Kann ich Ihnen helfen?“ fragt ihn der eine Bruder und stellt sich demonstrativ zwischen uns. Der unsichtbare Fühler wird kurzerhand abgetrennt.

„Was willst denn du?“ fragt der Mann zurück, er scheint wütend darüber, seine Oase verloren zu haben. Als er die schützende Haltung bemerkt, die sein Gegenüber zwischen ihm und mir eingenommen hat, ziehen sich seine Brauen zusammen. Spannt sich die Muskulatur in seinem Nacken an, bis er sein Recht hinausbrüllt in den Frühling.

„Was willst denn du, verdammt! Schöne Beine anzugucken ist doch kein Verbrechen. Tust so als würde ich was falsch machen, hast du sie noch alle?“

Wir zucken zusammen bei seinen Worten. Sie sind so laut und so abrupt, dass sich meine Beine von selbst in Bewegung setzen. Rechtes Bein, linkes Bein, die zwei Brüder drehen sich weg von dem Mann und folgen den Schritten. Wir schweigen.

Die Brüder aus Entsetzen, ich aus Resignation.

Die Blicke des Mannes erreichten kein einziges Mal mein Gesicht, mittlerweile hat er von hinten seine Fühler wieder ausgefahren. Sie schweben zwischen meinen Beinen und meinem Hintern.

Schöne Beine sind kein Verbrechen, ja ja. Sie zu haben, ein Urteil.

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I convert to this deep sea lesbianism

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halleluja