Trans Dating: Ein Bericht

Ich melde mich bei einer Dating-App an. Zuerst stecke ich mich in die Kategorie Frau und wähle das Label Transfeminin. Ich wähle Ich interessiere mich für alle Geschlechter. Innerhalb von zehn Minuten zeigt mir die App an, dass ich über 100 neue Likes habe. Nur zwei Euro, um sie sehen zu können. Das brauche ich nicht. Ich wische mich durch die Profile auf der Hauptseite. Jedes Mal, wenn ich nach rechts wische, also akzeptiere, ist es ein Match. Ich wische ungefähr hundertmal nach links, bevor ich wieder nach rechts wische. Match. Obwohl ich alle Geschlechter eingestellt habe, sehe ich nur Männer. Die meisten von ihnen sind hetero. Alle sind cis. Fast alle sind breit gebaut, posieren auf einem Berg, Boot, oder vor dem Spiegel im Fitnessstudio. Anscheinend machen alle Männer leidenschaftlich gern Sport, unternehmen gerne Dinge draußen und hätten gern eine Frau, die sie beschützen können, princess treatment included. Ich habe das Gefühl, dass sie bei jedem Profil nach rechts wischen.

Nach zweihundertfünfzig Männern sehe ich eine Frau. Bi. Cis natürlich. Ihr Profil besteht aus drei Bildern: Wandern, Oktoberfest, von hinten im Bikini. In ihrer Bio steht: „Suche jemanden, der mich zum Lachen bringen kann. Herzemoji.“ Ich verdrehe die Augen, weil sie noch langweiliger als die Lacoste Hemd-Männer ist, ich der App aber auch zeigen möchte, dass ich gerne mehr Frauen sehen würde. Ich wische nach rechts. Das erste Mal kein Match. Es ist mir ein bisschen peinlich, dass mich das enttäuscht. Ich hätte sie sowieso nicht daten wollen. Nach ihr kommen wieder dreiundachtzig Männer, von denen ich bei einem nach rechts wische, weil er ein süßes Lächeln hat, keinen Sport macht und wenigstens ehrlich zugibt, am Wochenende gerne auf der Couch zu hängen. Nach ihm kommt wieder eine Frau. Ich halte kurz inne, weil ihr Profil der anderen zum Verwechseln ähnlich sieht. Wieder Oktoberfest und Bikini von hinten, keine Bio, dafür noch ein Bild vom Bouldern.

Ich schließe die App. Ich lege das Handy für zwanzig Sekunden weg, bevor ich es wieder in die Hand nehme und die App erneut öffne. Ich stelle von alle Geschlechter auf Frauen und nicht-binäre Menschen. Nach vierzehn travel is my therapy, my love language are acts of service und offene Kommunikation ist mir wichtig-Frauen kommt die erste nicht-binäre Person. Hen spielt auf dem ersten Bild Mario Kart, zündet auf dem zweiten Bild irgendwas an und beschreibt sich selbst als chaotic good. Ich lese nicht weiter und wische nach rechts. Kein Match. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden, denke ich, während mir plant mom-Lisa vor dem Eifelturm entgegenlächelt.

Nach ein paar Tagen Dating-App-Action überlege ich, wieder damit aufzuhören und mein Glück doch wieder im echten Leben zu probieren. Ich habe inzwischen mit den beiden Männern geschrieben, mit denen ich gematcht hatte. Dem einen ist nach ein paar Nachrichten aufgefallen, dass ich nicht cis bin. Dem anderen war es zu anstrengend hin- und her zu schreiben und er lud mich zu sich in die Wohnung ein. Als ich vorschlug, dass wir uns an einem öffentlichen Ort treffen, kam keine Antwort mehr. Eine der Frauen hat mich auch gematcht, aber nie geantwortet, nachdem ich sie nach dem Strand auf ihrem Bikinibild gefragt habe. (Wonach auch sonst? Wie das Bier auf dem Oktoberfest schmeckt?) Die nicht-binäre Person hat mich nicht gematcht. Ich überlege, ob ich zu cis-hetero aussehe und denke darüber nach, wenigstens meine Haare zu färben, wenn ich schon keine Piercings oder Tattoos habe.

Einige Tage ignoriere ich die App, bis ich auf die Idee komme, mich in der App als nicht-binär zu kategorisieren. Aus unerfindlichen Gründen ist das Label Transfeminin dann nicht mehr verfügbar, also überlege ich zwischen Transgender und nicht-binäre Frau und entscheide mich für ersteres. Ich gebe wieder an, dass ich mich für alle Geschlechter interessiere. Ich beginne, mich durch die vorgeschlagenen Menschen zu wischen und bemerke, dass ich deutlich langsamer bin als beim letzten Mal. Fast alle von ihnen haben eine Bio, niemand ein Bild auf dem Oktoberfest und auch die Selfies im Fitnessstudio werden eine Seltenheit. Wieder sehe ich vorrangig Männer, aber nach jedem vierten kommt eine Frau und alle sechzehn Profile ist ein nicht binäres dabei. Hat es doch einen Sinn? Ich lese die Profile wieder aufmerksamer und wische nicht direkt nach links, wenn sich jemand vor einem Auto oder einem Berg präsentiert, weil es fast niemand mehr tut. Ich sehe mehr Tattoos, lange Haare bei Männern und kurze bei Frauen. Ich sehe alle zwölf cis Menschen eine trans Person. Ich fühle mich fast wie zuhause.

Nicht jeder Wisch nach rechts ist ein Match und ich merke, wie das erst an meinem Selbstbewusstsein nagt, kurz darauf aber anfängt, Spaß zu machen. Es gibt Menschen, die offen zugeben, Videospiele zu spielen. Welche, die keinen Sport machen. Niemand trägt einen Louis Vuitton-Schal. Ich fange an, mich im Geheimen über bisexuelle cis Frauen lustig zu machen, weil sie wie die cis hetero Männer von vorher sind. Auch wenn das ungerecht ist, da die meisten von ihnen eine Persönlichkeit haben, nur halt eine, die sich immer um Pflanzen, Kaffee und Flohmärkte dreht. Die zeigen sie mir aber nicht, weil sie in neun von zehn Fällen nach einem Match nicht antworten. Ich lache über mich selbst, weil ich in den letzten Tagen so viel Zeit mit Datingprofilen verbracht habe, dass ich nicht mehr weiß, wie richtige Menschen aussehen.

Mit der Zeit lerne ich, dass transmaskuline Menschen am besten zu mir passen. Sie antworten, sind linksgrünversifft und gehen mit mir Kaffee oder eine Spezi vom Kiosk trinken. Sie sind kreativ und studieren irgendeine Geisteswissenschaft.

Nach vier Monaten finde ich einen, den ich von allen am liebsten mag und verschiebe die App in den Papierkorb. Er liegt neben mir im Bett. Ich lege das Handy wieder auf den Nachttisch.

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Zukunftsfähig