kokonknoten
wo die hand in der harten luft hängt, die finger ausgestreckt ins hinten, verbogen, verformt, ich aber schon im gehen bin, meine hand das einzige, was bleibt, aber niemand mich ergreift, da spreche ich kein tschüss aus. da hängt auch meine hoffnung in der atmosphäre, schüchtern, in einer ecke. da liegt meine sehnsucht im unausgesprochenen. da wurden fäden gekappt, die lose an mir hängen, mit denen ich mich kleide, immerzu halbnackt, versuche zu zeigen: das ankommen im jetzt bedeutet, das vergangene zu benennen, es zumindest zu versuchen. damit eine biographie zur geschichte werden kann und nicht bloß in einzelnen erzählungen stattfindet. die geschichte findet doch auch bloß statt, weil ich sie erzählen kann. weil ich, anders, als die menschen, die vor mir kamen, von denen ich stamme, aber abfiel, apfelmensch im klammen gras, immerhin anfange: zu versuchen zu erzählen.
ich schürfte mir die knie auf und ließ sie bluten. die sonne brannte auf meinem scheitel.
als würde ich mich durch das schreiben einer wahrheit annähern, die es nicht gibt, geben kann, geben darf! als würde ich mich, schicht um schicht, im gleichen takt entblößen, als monströsen körper, in seinem grauen absolut, wie ich früher den tisch deckte. erst wische ich mich ab, dann beginne ich, schubladen zu öffnen, die mir bekannt sind, hole das heraus, was ich brauche und lege es an seinen platz. und betrachte. versuche, reihenfolgen beizubehalten, richtig zu tun, was getan werden soll, damit die missbilligung sich nicht in blicken im besteck spiegelt und seinen weg durch die mundhöhle in meinen magen findet, weil da eh schon vieles so schwer liegt, weil ich eh bemühe, richtig zu kauen, zu schlucken, weil ich falsch schluckte, doch so lange nicht verdauen konnte. ich schreibe, ohne mich auf einen tempus festzulegen, weil ich zu oft in “davor” und “danach” gesprochen habe, bis mir auffiel, dass es nicht nach-, sondern nebeneinander stattfand, die loslösung, das ankommen, das vermissen, der nie endende abschied, das rumoren. weil das vergangene nur vergangen sein kann, wenn ich es in der gegenwart anerkenne (ich schäme mich für das stetige steckenbleiben im vergangenen).
meine haare verknoteten sich am hinterkopf. ich schürfte mir die ellbogen auf und ließ sie bluten. schotter brannte unter mir und legte sich in mein fleisch hinein. staubüberzogen, so unaushaltbar fein, viel zu schön, wie steinnebel meine haut zudeckte.
weil ich mich sehne und trotzdem kisten packte, verstaute, was seinen platz einst innehatte, es nun aber nicht mehr hat. ich glaube, vermute, aber weiß es doch auch nicht sicher, dass wir kollektiv den abschied nie gelernt haben, ich zumindest nicht, immer “wir sehen uns” und “bis bald” auf der zunge liegen habe, auch wenn dem nicht so sein wird. immer wieder verabschiede ich mich beiläufig aufs neue, ohne mich dem zu widmen. der abschied findet sich wieder in dem, was ich nicht sage, nicht sagen kann, weil es kein gehör findet. ich kann nur vermuten, wieso ich mich um den expliziten ausdruck herum bewege, dem: “wir sehen uns nicht wieder”, weil das gewesene so für mich keinen platz in dem, was heute gilt, findet. weil ich euch doch wiedersehe, in dem, was ich träume, wie ich denke, was sich wiederholt. weil ich mich teilweise als ergebnis der umstände betrachten muss, “ergebnis” fluide bleibt, aber trotzdem bedeutet: ihr hattet auswirkungen darauf, wie ich heute bin. und ich versuche, dafür nicht zu hassen, obwohl ich es einst tat (ich vermeide das stetige steckenbleiben im vergangenen.)
ich hielt mich kaum aus. dass niemand sah, wie unglaublich die welt war. ich hatte die schönheit im hässlichen entdeckt.
und dabei stellt sich für mich nicht mehr die frage nach der schuld, sondern die nach der verantwortung. ich wurde bereits zum buckelmensch, weil ich bisher alleine trage. ich meine vieles, ich bleibe unspezifisch bis hierhin, weil das genau das ist, wie es sich anfühlt, nie richtig abschied zu nehmen: nicht unbeeinflusst kommen zu lassen, was kommen soll, immer zu mutmaßen, einen fuß in der tür stecken haben, sie ein klein bisschen offen stehen zu lassen, zu denken: ich gehe jetzt weiter, vielleicht kommt ihr mir hinterher? und dabei stecken zu bleiben. vielleicht ist entschuldigung zu hören das, was liebe am nächsten kommt. weil ich dann gehen könnte, und gleichzeitig bleiben dürfte: in der anerkennung des gewesenen.
ich pflückte meinen augapfel und legte ihn neben mich in die schublade, in der ich kauerte. schon bald schlüpfte der gestank in meine welt. ich schluckte, beulte, keuchte. ich kroch unter den tisch und spürte die fliesen meine wangen verbrennen. ich biss, riss, vermisste. ich zerberstete.
meine bewegung zeigt sich in dem, wovon ich mich entferne, ohne es je vollständig tun zu können, weil ich alle fäden abgeschnitte habe, aber die in meinem rücken nicht sehe, nur spüre, wenn ich ruhen will, weil mein fuß mit der tür verwächst, die mehr raum einnimmt, weil der raum plötzlich nur aus tür besteht, zu allen seiten hin, weil ich bilder schaffen muss, um mit mir zu arbeiten, weil ich verarbeiten muss, damit andere bilder nicht bleiben. ich antworte dir erst wochen später auf deine nachricht, ob wir mittags zusammen essen gehen wollen, ich ändere deinen kontakt in den einstellungen von kosename zu vorname, die änderung unumgänglich, so wie bei ihr: ich ließ bloß den ersten buchstaben des kosenamens stehen. weil ich schon die geschehnisse benennen musste, immer und immer wieder rahmte, mühevoll, weil das vielleicht ein weg sein kann, zu betrachten, ohne stets zu schmerzen: “M”.
ich verpuppe mich. bin kokonknoten. die haare wurden mir gebürstet, vogelnest. an meinem hinterkopf brüteten die seltensten vögel. schau genauer hin. ich phantasierte. ich wurde zur metapher. der vogel hat mich geholt, sagte ich. er hat mich mitgenommen in sein nest.
wie ich mich spürbar entblöße, wie ich den tisch aus holz decke, dessen fugen mir besser bekannt sind als eure leben, immer und immer wieder, wie ich mich auf den gabeln der anderen liegen siehe, in ihre münder gesteckt, am gaumen festhielt, maulende münder, überzogen von breispucke, ich war schimmelkind, ich klammerte mich an munkelnde mandeln. lugte in das fleisch hinein, kratzte die innenräume der münder auf. vielleicht ist entsagung das, was liebe am nächsten kommt. zu bangen. zu fantasieren, was sein könnte.
ich riss mir die wimpern heraus und legte sie sorgfältig nebeneinander auf mein kopfkissen. ich wünschte mir. ich schürfte mir die knie auf und ließ sie bluten. hochbettleitersitzend sah ich mich nicht stürzen, sondern fallen.
niemals bin ich unbeeinflusst davon, dass ich gegangen bin, ohne es auszusprechen. der nachhall der fehlenden verständigung trifft mich bis heute. ich entglitt den strukturen des familienlebens, ich saß nicht mehr mit am tisch, verorte mich neu, ohne aus chats austreten, ich bin stiller beobachter, meine abwesenheit macht sich breit, wo der tisch gedeckt wird, aber nicht durch meine hände.
ich träumte noch gestern von schotter in meinen wunden. noch gestern fand ich anklang in der sehnsucht.
(Leo) Milo (Matteo) (*2002) ist queerer interdisziplinärer Künstler, Konstantensucher, Fluiditätsmacher, Zwiespaltaushalter. Milos künstlerische Outputs reichen von bildender Kunst über Performances bis hin zu Lyrik. Die Auseinandersetzung mit Lücken, Ein- und Zuordnungen und dem Nicht-Wissen ist stets geprägt von einer Dringlichkeit der Annäherung und des Ansprechens.